Ich fühle mich alt. Zu den Falten im Gesicht gesellen sich merkwürdige Flecken, deren Herkunft ich mir nicht erklären kann. Abends in den Lokalen und Bars siezen mich junge Studentinnen. Jedes „Sie“ in meine Richtung ist eine Ohrfeige für die Seele.
Und sogar die Töchterchen werden langsam zu Töchtern, werden selbstständiger, schlagfertiger und vor allem gemeiner. Zur Veranschaulichung ein paar Beispiele, direkt aus dem Alltag gegriffen:
1 | Kleine Gemeinheiten
Wir sitzen gemeinsam mit Schwiegereltern, Onkel und Cousin am Esstisch. Tochter L. verkündet vor versammelter Runde: „Papa kann sich super Haare im Gesicht und auf der Nase wachsen lassen.“ Sie schnappt sich die Bürste vom Tisch, fährt mir damit durch die Borsten, die auf meiner Nase sprießen, zupft ein langes Frauenhaar aus der Bürste und sagt: „Oh, seht mal wie lang die schon sind. Du musst mal wieder zum Frisör, sonst stolperst du noch über deine eigenen Nasenhaare.“
2 | Verwirrung stiften
Sie haben die Telefonfunktion von Mamas Handy entdeckt. Seitdem rufen sie mich regelmäßig in der Arbeit an um mir völlig belanglose Dinge mitzuteilen oder Verwirrung zu stiften. Als es letztens klingelte, begehrte Tochter Nummer 1 um Gehör. Ich hebe ab und sage hallo. Sie spricht: „Häh? Papa? Hast du mich jetzt angerufen oder ich dich?“ Ich sage: „Du mich“. Sie erwidert: „Ach wirklich? Und warum?“. Ich kann ihr darauf keine Antwort geben und sie erwartet offenbar auch keine, sondern spricht gleich weiter: „Naja… ich brauch nix. Brauchst du was?“. Ich sage: „Nein, du hast ja mich angerufen.“ Sie antwortet: „Ach ja. Gut. Ciao, Papa!“
3 | Süße Investitionen
Tochter L. versorgt sich mit ihrem Ersparten beim Bäcker selbstständig mit Süßigkeiten. In ihrer Schreibtischlade, ganz hinten, hinter den alten Schulbüchern und Übungsheften, hat sie sich ein Versteck eingerichtet. Ich habe es vor kurzem entdeckt und tonnenweise Milka, Dragee Keksi und Schoko Bons entfernt. Stattdessen hab ich Äpfel, Trauben und Nüsse dort platziert. Sie hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, hat sie mir das ganze gesunde Zeug unter den Kopfpolster gelegt und in meine Jackentasche gestopft. Danach ist mit ihrem Taschengeld los um Nachschub zu holen. Ihr neues Versteck konnte ich bislang noch nicht entdecken.
4 | Sachen verstecken
Aus Boshaftigkeit und um mir eins auszuwischen verstecken sie nicht nur ihre Süßigkeiten sondern auch meine Sachen. Handy, Geldtasche, Brille und Schlüssel verschwinden regelmäßig und meist gerade dann, wenn ich sie brauche. Ihre Verstecke sind äußerst raffiniert und kaum aufzuspüren. Hätte sich Osama Bin Laden damals in einem dieser Verstecke verkrochen, wäre er heute noch am Leben – die US Navy Seals hätten ihn niemals gefunden.
5 | Selbstversorger
Mit zunehmender Häufigkeit verschmähen sie unsere mit viel Liebe gekochten Gerichte und bereiten sich Speisen selbst zu. Ihre Herangehensweisen und Kreationen sind äußerst eigenwillig. Wenn sie sich Butterbrote schmieren, schaben sie die Butter oben ab, statt ein Stück der Breitseite abzutrennen. Bei der Zubereitung von Palatschinken muss immer auch ein Schuss Mineralwasser mit in den Teig und Toastbrot schmeckt am besten, wenn ein Kilo Kristallzucker drauf gestreut wird. Gurken dagegen sind, wenn in Scheiben geschnitten, ekelhaft und rufen Brechreiz hervor, wohingegen sie in Stiftform „mjam, mjam, supersupergut“ sind.
6 | Das Parfüm
Sie haben die Welt der Düfte für sich entdeckt. Vor einiger Zeit besuchten wir den Indoor-Spielplatz eines Villacher Einkaufszentrums. Ein Geruchskonglomerat von Schweißfüßen, Brustmilch und Bremsspuren in der Unterhose lag in der Luft. Da rümpften sogar die Töchter die Nasen. Wieder zuhause, schnappten sie sich Mamas Parfüms und versprühten diese großzügig am ganzen Körper. Ihre Zimmer nebelten sie mit dem Klospray „Meeresbrise“ ein. Die Mixtur der Düfte ergab einen undurchdringlichen, intensiven Geruchsteppich, der das Betreten der kinderlichen Gemächer auf unbestimmte Zeit nur mit FFP2-Maske ermöglicht.