Gestern war es also soweit. Der Grossglockner Berglauf mit 13 Kilometern und 1500 Höhenmetern wartete. Eine Strecke durch das Hochgebirge mit schroffen Felsen, tiefen Abgründen und Anstiegen, so steil, dass sich viele vom bloßen Anblick mit Wadenkrämpfen am Boden winden.
Eigentlich ein bisserl irre und vor allem brutal. Aber hey – als „richtiger“ Bergläufer muss man hier mal mitgemacht haben – sagen die Bergläufer, die schon mal mitgemacht haben. Und offensichtlich bin ich nicht der einzige Blödmann, der ihnen das geglaubt hat. Hunderte sehnige, ausgemergelte Menschen haben sich in aller Herrgottsfrüh hier in Heiligenblut Grossglockner versammelt.
Vor dem Start üben sich viele Bergläufer in Selbstinszenierung. Wie eine Horde Pfaue, die ihre Federfächer präsentieren, marschieren sie mit ihrer überteuerten, bunten Laufausrüstung über das Startgelände. Stolz stellen sie dabei ihre Krampfadern zur Schau. Stark und unbesiegbar wollen sie alle wirken. Wahrscheinlich aus Angst vor dem was da kommt. Bereits eine Stunde vor dem Start wird mit fiesen Einschüchterungsmethoden gearbeitet. Mit extra-dynamischen und besonders ausgefallenen Aufwärmübungen versuchen einige die Konkurrenz zu verunsichern. Ich habe das Gefühl, dass manche Bergläufer bereits in dieser Phase den Großteil ihres Pulvers verschießen.
Los geht’s!
Die angespannte Atmosphäre ist verflogen. Die Läufer rund um mich haben einen breiten Grinser ins Gesicht gemeißelt. Sie sind froh, dass sie endlich loslegen dürfen. Die positive Energie steckt mich an und trägt mich federleicht über die ersten (flachen) 1,5 Kilometer. Dann wird es steiler. Das Tempo langsamer. Nach dem ersten Kilometer Anstieg wechseln die ersten Läufer in schnelles Gehen. Beim Überholen sehe ich, wie sich ihre Gesichtsfarbe ihren trendigen, roten und grünen Sportklamotten angepasst hat. Bei mir läufts! Wie eine Gams springe ich an den röchelnden Athleten vorbei. Gegen Ende des ersten Anstiegs verfalle auch ich in Schritttempo. Geht leider nicht anders. Wadeln und Lunge brennen zu stark.
Schließlich kommt wieder ein Flachstück, teilweise geht‘s hier sogar leicht bergab. Bei einem ziemlich imposanten Wasserfall ist dann aber Schluss mit lustig. Die Strecke wechselt in einen schmalen Steig der fast senkrecht ins Hochgebirge führt. Es herrscht Überholverbot. Links führt ein Abgrund in die Tiefe. Den Boden unten kann ich nicht erkennen. Ein falscher Schritt und die Bergretter, die hier alle paar Meter stehen, können dir auch nicht mehr helfen. Hinter mir haben sich zwei Versicherungsmakler eingereiht, die lautstark und total begeistert über Prämien, Renditen und Versicherungsstatistiken reden. Sätze wie: „6% Rendite bei voller Kostenneutralität!“ brüllt der eine dem anderen zu und mir ins Ohr. Nachdem ich genug über Pensionsversicherungen, Deckungssummen und Schlussdividenden gelernt habe, liegt die Passage hinter uns und ich drücke anständig aufs Tempo. Ich schaffe es schließlich mit einiger Anstrengung die beiden abzuschütteln.
250 Höhenmeter sind auf dem letzten Kilometer bis ins Ziel zu überwinden. Brutal!
Rein ins Hochgebirge
Keuchend steige ich auf allen vieren zwischen Disteln und Steinen einen Anstieg empor. Oben angekommen, öffnet sich eine spektakuläre Bergwelt. Eine Landschaft aus Felsen, Steinen, Schnee und Wasser. Gerne würde ich jetzt langsam ins Ziel wandern und die viele Natur rundherum genießen. Es sind aber nur mehr ca. 3 Kilometer. Die Musik schallt vom Zielbereich herunter und pusht mich nochmal bis zum letzten Kilometer. Es kracht im Nacken als ich den Kopf hebe um nach oben zu schauen. 250 Höhenmeter sind jetzt noch bis ins Ziel zu überwinden. Brutal! Man kann die Anfeuerungen der Zuschauer laut hören. Sehen kann man hingegen nur Köpfe so groß wie Stecknadeln. Die meisten meiner Mitstreiter pfeifen hier aus dem letzten Loch. Manche weinen, viele jammern, die meisten leiden still. Das Konkurrenzdenken vom Anfang ist verflogen. Gegenseitig wird aufgemuntert, angebrüllt, motiviert. Großartige Atmosphäre! Auf den letzten 300 Metern stehen die Zuschauer Schulter an Schulter und jubeln. Ein bisschen wie Bergetappe auf der Tour de France. Gänsehaut! Schließlich bin ich im Ziel. Eine Armada von hübschen Bergläufer-Groupies versorgt mich mit Decke, Medaille und Tee. Ich hab‘s geschafft! Auch ohne Krampfadern!