Herunter kommen sie alle. Irgendwie. In Südkärnten, in den Bergen rund um Villach, meistens rasanter als anderswo, nicht selten auch mit Bremsspuren am Körper. Doch wir lieben das Risiko und haben uns ohne Rücksicht auf Verluste mit Kids und Bikes die Trails in der Region hinabgestürzt.
„DREI KAUGUMMIS!“, ruft die 7-jährige Tochter L. und stiert dem großen Cousin in die Augen. Die blonden Strähnen lugen, nass vom Schweiß, unterm Helm hervor. „Was? Drei Kaugummis? Was meinst du?“, fragt der ganz verdutzt. „Ich wette um drei Kaugummis, dass du dich nie im Leben da runter traust!“.
„Ha! Sicher trau ich mich das!“, schallt es dumpf aus dem Helm. Kurz darauf fliegen uns Staub und Steinchen um die Ohren, der 11-jährige Cousin tritt mit Vollkraft in die Pedale und stürzt sich den Bergtrail hinunter, die Kaugummi-Tochter und ihre blonde kleine Schwester hinterher. „Bremsen, breeemsen!“, ruft die Mama noch, aber da sind die Kinder längst außer Hörweite. Mit einem lauten Seufzen steigt sie auf ihr Rad, von dem ich vor dieser Tour extra Einkaufskorb und Gepäckträger abmontiert habe. Normalerweise ist die Stadt ihr Revier. Ihr Fahrrad ist geeicht auf sauber asphaltierte, gut gekennzeichnete Radwege, die an Wohnhäusern, Parks und Bürogebäuden vorbeiführen. Wurzeln, Steine, Steilkurven und Sprungschanzen kennen weder Rad noch Lenkerin. Die Finger um die Bremsen geklammert und die Angst ins Gesicht gemeißelt, holpert sie den Kindern hinterher.
Sketchy Trails, Obstacles und Flows war die Forderung und Mama nickte, verstand aber kein Wort
Sie hatte sich den Familienausflug anders vorgestellt, vor allem entspannter. „Radeln wir doch schön gemütlich der Drau entlang“, hatte sie vorgeschlagen. Die Drau, das ist der Fluss, der hier unten durchs Tal mäandert und entlang dessen Ufer man von den Dolomiten bis in die Weite Pannoniens strampeln kann. Die Kinder forderten aber lautstark „Action, sketchy Trails, Jumps, Obstacles und Flows!“. Und weil die Mama kein Wort verstanden hatte, nickte sie lächelnd, als ich vorschlug zunächst einmal den Kids Bike Park auf der Gerlitzen auszutesten.
„Babyleichter“ Bike Park
Die Gerlitzen ist ein knapp 2.000 Meter hoher Berg, im Winter beliebt bei Skifahrern und Tourengehern. Dort auf der Kanzelhöhe, auf ca. 1.500 Metern Höhe stehen wir zu sechst und blicken teils ängstlich, teils elektrisiert auf die holprigen Trails hinab. Nesthäkchen L. (5) zupft nervös an den bunten Fransen herum, die links und rechts von ihrer Lenkstange baumeln. „Papa, muss ich bremsen wenn ich da runter fahr?“, will sie von mir wissen. Ich will antworten, aber die Mama ist schneller: „Natürlich! Und wenn du Angst hast, einfach absteigen und schieben“. Doch eigentlich erübrigt sich diese Antwort, denn was Mama sagt wird an diesem Tag ignoriert, was der Papa sagt, höchstens als Empfehlung verstanden.
Flying Eagle Trail, weil wenn man hier ins Schleudern kommt, hebt man ab wie ein Adler
Mamas Besorgnis gilt dem „Snake Flow Trail“, vor dem wir
alle aufgefädelt stehen und der sich in mehreren Steilkurven über Steine und Wurzeln den Hang hinunter schlängelt. Schlangen mag die Mama nicht, sie fürchtet sich vor ihnen. Und auch mit dem Trail wird sie nicht warm. Noch eine Nummer härter ist hier auf der Kanzelhöhe nur noch der „Flying Eagle Trail“. Flying, weil wenn man hier an der falschen Stelle ins Fliegen kommt, kann es bis zur Landung etwas länger dauern. Doch soweit kommt es nicht. Bald sind alle Trails unfallfrei ausgefahren und „babyleicht“, wie es das kleine Töchterchen formuliert. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung brechen wir Richtung Baumgartnerhöhe auf.
Meisterprüfung für junge Biker
Die Baumgartnerhöhe liegt 15 Kilometer südlich der Gerlitzen, am Fuße der Karawanken, die eine natürliche Barriere zum Nachbarn Italien bilden. Beliebter Treffpunkt hier heroben ist der Gasthof Baumgartnerhof und rundherum ist in den letzten Jahren ein kleines Eldorado für Biker entstanden. Im Tal blitzt der Faaker See hellblau zwischen den grünen Wäldern und Wiesen hervor. Gleich hinterm See liegt Villach und noch ein Stückchen weiter erhebt sich die Gerlitzen in ihrer ganzen Pracht. Das ist zwar schön, aber „babyleicht“ ist hier gar nichts mehr. Die Biker auf den Trails sind eher den Kategorien „fortgeschritten“ und „Profi“ zuzuordnen, oder wie die Mama schlicht sagt „verrückt“.
Wir nehmen uns einen der leichteren Trails vor, wollen die Kinder nicht überfordern. Gespickt mit Schanzen und Kuppen führt der „Flowgartner Trail“ über eine steile Wiese nach unten bis zum Baumgartnerhof. Doch wer runter will, muss zuerst hinauf. Es wird steil, so steil,
dass wir absteigen und schieben müssen. Ein E-Bike-Fahrer überholt uns mit federleichtem Tritt und mitleidigem Blick, den die Kids ignorieren. Sie schieben leise ihre Bikes nach oben. Nur ein leises regelmäßiges Schnaufen ist zu hören. Es ist Ruhe und Konzentration, die wie vor einem großem Wettkampf in der Luft liegen.
Bevor wir in den Trail starten, gehen wir die Strecke gemeinsam durch. Der Übermut der Kinder ist verflogen, die Mädels lauschen meinen Warnungen und sprechen der Mama Mut zu. Unsere Geschwindigkeit auf dem Trail hält sich in Grenzen, nur der große Cousin macht Tempo und ist nach einem beherzten Sprung über die erste Kuppe nicht mehr zu sehen. Der Rest von uns nimmt sich ausgiebig Zeit. In kurzen Pausen genießen wir den Blick über den See. Als wir schließlich unten beim Gasthof eintrudeln, genehmigt sich Cousin N. bereits sein zweites Eis.
Wer bremst, verliert
Um uns den Radlerschweiß vom Körper zu waschen, machen wir uns auf den Weg zum Faaker See. Auch hier gibt es für kleine Biker eine Attraktion. Direkt neben dem frei zugänglichen Seebad kann auf einem überdachten Pumptrack kostenlos an der Fahrtechnik gefeilt werden. Der Tag ist allerdings bereits lang, die Trails in der freien Natur waren fordernd. Auch die Konzentration lässt nach, Bub und Mädels haben direkten Blickkontakt zu den Rutschen, die sich in den See schlängeln. „Die gelbe, Papa, die ist sicher voll schnell, die schaff ich ohne zu bremsen!“, stellt Lara fest.