Noch nie hat sich eine Niederlage so gut angefühlt – ein Bericht vom Vienna City Marathon.
Der Ehrgeiz ist bockig. Wie ein Esel. Er trägt uns auf seinem krummen Hexenrücken zu den tollsten Erfolgen, nur um uns im nächsten Moment die Klippe runterzuschmeißen.
Meinen Esel hab ich Sepp getauft. Sepp will stets höher, schneller weiter. Er ist sehr fordernd und auch ein bisserl doof, hängt man ihm eine Karotte vor die Nase, läuft er bis in alle Ewigkeit hinterdrein. Trotzdem hat mich der Sepp bislang sicher und flott in jedes Ziel gebracht. Letzte Woche beim Wien Marathon, da hat’s der Sepp aber übertrieben, wollte zu viel. Hat die Grippe, die mich drei, vier Wochen vor dem Rennen niederstreckte, ignoriert und den armen, halbkranken Schatten meiner Selbst im Training angetrieben, statt ihn ruhen zu lassen.
Erinnerungen an den Ananas-Mann
Es war nicht mein erstes Rennen in Wien, schon 2017 stand ich am Start. In Erinnerung geblieben ist mir ein glatzköpfiger Israeli, der die komplette Distanz mit einer Ananas auf dem Kopf lief. Die Ananas hat er keineswegs festgehalten, die hat er flugs auf der Glatze abgestellt und ist damit losgelaufen. 42 Kilometer später war er dann im Ziel, die Ananas nach wie vor auf der Rübe. Ob sie ihm mal runter gefallen ist, kann ich nicht sagen, sie sah zumindest unversehrt aus, vielleicht war es auch ein Ersatzexemplar. Warum man das macht, kann ich ebenfalls nicht sagen, vielleicht hatte der Mann einen ausgeprägten Obstfetisch. Auch ich könnte mir vorm Marathon z.B. eine Wassermelone in die Hose stecken, Ribisel in die Nase oder zwei Pampelmusen unter die Achseln. Ich mag aber kein Obst, laufe stets ohne, ich bin genügsam, das reicht mir und dieses Mal wurde mir sogar das zu viel.
Saft- und kraftlos
Am Donaukanal, bei Kilometer 26, verfiel ich in einen schlurfenden, schwankenden Schritt. Der Tank war leer, die Beine schwer. Wadenkrampf, überhöhter Puls, die teuren, federleichten Rennschuhe aus Nanotextil wie Betonpatschen an den Füßen. Ein Stück Obst wäre jetzt was feines, aber nein es, gibt leider keines. Energie raus, aus Maus. Das Unheil zeichnete sich bereits einige Kilometer zuvor ab, die Erkenntnis sickerte langsam ins Resthirn ein. Es hatte keinen Sinn mehr. Also machte ich Platz. Die anderen Marathonis hüpften an mir vorbei wie junge Rehe im Morgentau. „Aufgeben tut man Briefe“, blökte mir der Sepp ins Ohr, „wer nicht durchbeißt, ist nix wert“, raunte er. Sepp, du bist ein Depp, sagte ich ihm und fingerte in meinem Laufgurt zwischen den Energy Gels nach dem Handy.
Frau und Kinder warteten beim Happel-Stadion, Kilometer 30, auf den Sepp und mich. Sie hatten Fahnen und Tröten dabei um wollten mich damit einpeitschen für den Abschnitt des Todes: die Prater Hauptallee. Acht Kilometer schnurgerade, kaum Zuseher und alles sieht gleich aus. Dort zu laufen ist wie auf dem Laufband. Egal wie schnell man rennt, man kommt nicht vom Fleck.
Sorgen und Fürsorge
Meine Frau klang besorgt, als sie abhob – normalerweise telefoniere ich nicht während meiner Rennen. Auch Tochter Lena war beunruhigt. Ich hörte sie im Hintergrund: „Was hat der Papa? Geht’s ihm gut? Hat er sich die Beine gebrochen? Ist er mit den Füßen in den Straßenbahnschienen steckengeblieben? Ist er in einen U-Bahnschacht gestürzt?“.
Ich beruhigte die Damen und begab mich etwas ungelenk und abseits der Strecke auf direktem Weg zum Ziel Richtung Rathaus. Frau und Töchter reisten mit der U-Bahn an und nahmen mich sogleich in ihre Arme. Ich erzählte ihnen vom Sepp und von mir und sie verhätschelten mich wie einen Kriegsversehrten. Ich empfand das ganze eigentlich nicht als Drama, blöd halt, aber kann passieren. Erst ihre Fürsorge rührte mich, fühlte sich gut an, also ließ ich sie gewähren.
Besonders einfühlsam zeigte sich Tochter Lena. Sie schwirrte um mich herum und übergoß mich mit Liebe, „Ach, Papa, du musst nicht traurig sein. Das macht doch nix, du hast ja uns“, fürsorglicher Strenge, „Ich hab’s dir doch gleich gesagt Papa, lauf doch nur den halben, wenn du dich nicht gut fühlst. Du musst auch mal auf mich hören, ich hab das genau gewusst!“, und ungeahnter Weisheit, „Ach, Papa, im Leben geht es nicht immer nur um Rekorde und ums Gewinnen! Sei doch stolz, du hast auf deinen Körper gehört! Stell dir vor wenn du das nicht gemacht hättest und dir was passiert wäre!“.
Ich bin kein übertrieben sensibler Mann, weine nicht mal beim Fußball oder wenn das Bier aus ist. Aber mit diesen Mädels an der Seite ist das anders, da würden sogar die härtesten Kerle vor Rührung Rotz und Wasser heulen. Das aufgegebene Rennen tut weh, doch Frau und Kinder haben den Blickwinkel zurecht gerückt, und der Sepp wird in Zukunft ein bisserl vernünftiger. Vielleicht.